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Gortyn, Kreta


Der Lampenkontext aus dem sog. Edificio C

Ansprechpartnerin: Dr. Anna Bertelli



Im Apollo Pythios Heiligtum in Gortyn (Abb. 1a), der ehemaligen Hauptstadt der römischen Provinz Kreta und Kyrenaika, liegt das sogenannte Edificio C – ein recht kleines Gebäude mit einem äußeren, quadratischen und einem inneren, runden Grundriss (Abb. 1b). Diese Zusammensetzung aus runden und quadratischen Architekturelementen ist dabei singulär in Gortyn. Aufgrund der späteren Überbauungen mit byzantinischen Wohnbauten ist das Gebäude nur im Ansatz rekonstruierbar. Somit bleibt unklar, wie das Gebäude in seiner ursprünglichen Form ausgesehen haben könnte. Die Gestaltung der aufgehenden Architektur – ob das Bauwerk Fenster hatte oder wie das Dach konstruiert war – liegt beispielsweise im Dunklen. Auch die Funktion des 5 x 5 m großen Gebäudes, seine Datierung bzw. Nutzungsgeschichte und zuletzt die Art seiner Eingliederung in das Apollo Pythios Heiligtum sind bislang ungewiss. An dieser Stelle kann jedoch das Fundmaterial aus dem Gebäude selbst und aus Sondagen in seiner unmittelbaren Umgebung Abhilfe schaffen und ausschlaggebend für die genauere Analyse dieser Struktur und ihrer Interpretation sein.

Von entscheidender Bedeutung sind hierbei vor allem zahlreiche römische Öllampen mit Diskus-Darstellungen, die innerhalb des Gebäudes bereits 2007 durch die Forschungsarbeit der Università degli Studi di Siena ans Licht gebracht worden sind. Zusätzlich zu vielen Stücken, die vollständig rekonstruiert werden können, umfasst dieses wichtige Fundkorpus einige zur Gänze erhaltene Exemplare (Abb. 2). Genau jene römischen Öllampen stehen auch im Fokus eines Forschungsprojektes der Ruhr-Universität Bochum unter der Leitung von Dr. Anna Bertelli, das in Zusammenarbeit mit der Grabungsmission der Università di Padova in Gortyn und ihrem Grabungsleiter, Prof. Dr. Jacopo Bonetto, durchgeführt wird. Die Forschungskooperation zwischen der Ruhr-Universität Bochum und der Università di Padova besteht offiziell seit Herbst 2022. Das Projekt kooperiert zudem mit der Scuola Archeologica Italiana di Atene (SAIA) und dem griechischen Ministerium für kulturelles Erbe und Aktivitäten.



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Abb. 2: Übersichtsfoto der Öllampen

Ein zentrales Forschungsziel des Forschungsprojektes der Ruhr-Universität ist die komplette Aufnahme aller innerhalb des Edificio C gefunden Öllampen. Die Arbeiten des Projektes beinhalten unter anderem die Aufnahme der Lampen mittels manueller Zeichnungen und Fotos, ihre fotographische Dokumentation zur Erstellung von 3D-Modellen, die Anfertigung von digitalen Umzeichnungen und Rekonstruktionen sowie die komparative Untersuchung des Fundkomplexes. Neben lokalen Vergleichen auf Kreta sollen im letztgenannten Analyseschritt auch überregionale Parallelen herausgearbeitet werden, um eine Datierung des Fundmaterials vorzunehmen und den geographischen Verbreitungsraum der Bildlampen vorzuschlagen. Das langfristige Ziel ist es darüber hinaus, die Nutzungsgeschichte des Edificio C zu rekonstruieren, seine Verbindung zum restlichen Heiligtum aufzuzeigen, seine Funktion zu diskutieren und zuletzt eine Rekonstruktion des Gebäudes vorzulegen. Das Forschungsprojekt macht sich somit zur Aufgabe, mit dem Edifico C ein weiteres wichtiges architektonisches Puzzleteil des gesamten Apollo Pythios Heiligtums zu erforschen, was in Zukunft ein besseres Verständnis des Gesamtkomplexes erlauben wird.


Mir geht ein Licht auf! Aus dem verstaubten Depot ins digitale Rampenlicht - Neue Erkenntnisse zur Aufnahme antiker Lampen (SoSe 2023 – WiSe 2023/24)

Die Università degli Studi di Siena stellte im Jahr 2023 die Öllampen der Ruhr-Universität Bochum und dem Forschungsprojekt in Gortyn für genauere Analysen zur Verfügung. Das Projekt und die erste Kampagne wurden des Weiteren durch die finanzielle Unterstützung des Programms „Forschendes Lernen (https://uni.ruhr-uni-bochum.de/de/forschendes-lernen-0)" der Ruhr-Universität Bochum ermöglicht. In der ersten Fundbearbeitungskampagne, die sich mit dem Edificio C, genauer gesagt mit den römischen Öllampen aus diesem Gebäude beschäftigte, wurden die oben aufgelisteten Arbeitsvorgänge vor Ort begonnen. Der Fokus der Arbeiten lag dabei allen voran auf der fotographischen Aufnahme der Lampen im Einzelnen sowie ihrer fotographischen Dokumentation für die Erstellung von 3D-Modellen. Besonders wichtig war es hierbei auch, vor Ort exakte manuelle Zeichnungen der einzelnen Lampen und besonders ihrer Diskus-Darstellungen anzufertigen (Abb. 3). Auch vergleichbare Fundkontexten innerhalb Gortyns konnten gesichtet und während der dreiwöchigen Kampagne untersucht werden.


Abb. 3a: Aufnahmen der Öllampen in Form von Fotografien

Das während der Kampagne erarbeitete Material wurde des Weiteren von Studierenden der Ruhr-Universität Bochum im Rahmen einer Übung während des Wintersemesters 2023/2024 weiterbearbeitet.


Abb. 3b: Manuelle Zeichnungen während der Kampagne 2023

Die Studentinnen und Studenten erstellten erste 3D-Modelle anhand der fotographischen Aufnahmen und digitalisierten die händischen Zeichnungen der Lampen mithilfe des Programms Vectorworks (Abb. 4). Ziel der Übung war es nicht nur den wissenschaftlichen Umgang mit originalen Fundstücken zu erlernen, sondern auch in Eigenregie eine zielführende Dokumentationsmethode zu erarbeiten und zu überprüfen.

Abb. 4a: Nachbearbeitungsdokumentation der Öllampen in Form von 3D-Modellen

Die händisch erstellten Zeichnungen der Tonlampen sollten mit den digital erzeugten Zeichnungen verglichen werden, um die Grenzen der jeweiligen Methoden herauszuarbeiten.  Die digitalisierten Umzeichnungen und 3D-Modelle wurden anschließend in die digitale archäologische Lehre aufgenommen und sollen für zusätzliche Lerneinheiten im E-Learning-Angebot der Archäologischen Wissenschaften (RUBeA – eLearning) dauerhaft zur Verfügung gestellt werden (Abb. 5a).

Abb. 4b: Nachbearbeitungsdokumentation der Öllampen in Form von Vektorumzeichnungen

Die experimentalarchäologische Auseinandersetzung mit den Tonlampen ermöglicht die praktische Auseinandersetzung mit dem Material. Ein weiterer Aspekt der Nacharbeitung ist der Versuch, die kretischen Bildlampen in Bochum in der Lehrwerkstatt des Archäologischen Institutes nachzutöpfern (Abb. 5b und c).



Abb. 5a: Drag&Drop Übung für das E-Learning Moodle der RUB. 5b. und c. Getöpferte Öllampen

Während des Kolloquiums der Klassischen Archäologie im Wintersemester 2023/2024 wurden schließlich das Forschungsprojekt und die ersten Ergebnisse von Dr. Anna Bertelli und den beteiligten Studierenden im Institut für Archäologische Wissenschaften vorgestellt. Ein weiterer Vortrag ist für April 2024 bei der Thomas-Morus-Akademie in Bensberg geplant, sodass die erarbeiteten Erkenntnisse einem breiteren wissenschaftlichen Publikum zugänglich gemacht werden.



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Abb. 6: Aufsicht auf das Edificio C

Next Steps...

Im nächsten Schritt sollen die bisherigen Forschungsergebnisse für eine Publikation vorbereitet werden. In zukünftigen Kampagnen, Projekten und Lehrveranstaltungen soll es zudem weiteren Studierenden ermöglicht werden, den Fundkontext und das Fundmaterial in Gortyn zu erforschen und das Wissen über das Heiligtum zu erweitern.

Im SoSe 2024 ist eine Übung geplant, in der unter anderem die singuläre Architektur des Edificio C diskutiert werden wird. Während des Grabungspraktikums im Sommer 2024 soll darüber hinaus eine komplette 3D-Aufnahme des Gebäudes vor Ort in Gortyn erfolgen. In der erstgenannten Übung geht es außerdem darum, Strukturen mit ähnlichem Grundriss zu identifizieren, aufzuarbeiten und digitale Pläne für den architektonischen sowie funktionalen Vergleich anzufertigen. Die Gegenüberstellung von mehreren Kontexten wird die Rekonstruktion des einstigen Aussehens des Gebäudes ermöglichen. Daraufhin können 3D-Modelle, ausgehend von den angefertigten Plänen, erstellt und Rekonstruktionsmöglichkeiten durchgeführt werden. Dies eröffnet den Studierenden die Gelegenheit, damit verbundene Schwierigkeiten zu diskutieren und hierfür Lösungen zu erarbeiten. Die Rekonstruktionen der quadratischen Gebäude können im Anschluss in einer Virtual Reality digital erlebt werden. Eine solche Präsentation der Forschungsergebnisse bietet die einzigartige Möglichkeit, das quadratische Gebäude mit seiner runden inneren Struktur, das durch die Öllampen künstlich beleuchtet wurde, mit den eigenen Sinnen zu erfahren und hierdurch zu einem besseren Verständnis jenes enigmatischen Bauwerks beizutragen.


Projektleitung

Dr. Anna Bertelli
Akademische Rätin

Klassische Archäologie
Institut für Archäologische Wissenschaften
Ruhr-Universität Bochum
Am Bergbaumuseum 31, 44791 Bochum
Raum: 0.3.7
Tel.: (0234) 32-19232
Mail: Anna.Bertelli@ruhr-uni-bochum.de


Teilnehmer*innen
Teilnehmende der Materialbearbeitungskampagne im Sommer 2023:

Lilly Johanna Eckhoff, Era Garattini (Erasmus+ Traineeship), Nils Koenen, Lina Kuche, Lara Töreki M.A.

Teilnehmende der Übung im WiSe 23-24:

Damaris Axmann, Antonia Becker, Stella Becker, Lilly Johanna Eckhoff, Ozan-Eren Ercetin, Marco Harig, Nils Koenen, Lina Kuche, Hanna Merk, Eric Neuhofen, Noah Schmid, Stefan Walter


Kooperationspartner und finanzielle Förderung